Der Tag bräuchte mehr als 25 Stunden. Darüber herrscht unter Arbeitnehmer:innen große Einigkeit. Die schlechte Nachricht: Das wird nie passieren. Die gute Nachricht: Macht nichts. Aber der Reihe nach.
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Murphys Gesetz und die 60-Prozent-Lösung
Vielleicht kennst du die folgende Situation nur zu gut: Liebevoll planst du deinen nächsten Arbeitstag. Alle wichtigen Termine sind – mit Puffern für An- und Abfahrten – eingeplant, die wichtigen Aufgaben ohne festen Uhrzeit füllen die Lücken wunderbar aus und es sieht sogar nach einer entspannten Mittagspause und einem pünktlichen Feierabend aus. Doch dann schlägt Murphys Gesetz zu, und der Plan übersteht nicht mal die ersten beiden Arbeitsstunden.
Kein Wunder, würde es jetzt aus der Selbstmanagementcommunity ertönen: Du hast zu viel Zeit fest verplant. Es hätten nur 60 Prozent sein sollen. Wieso ausgerechnet 60? Das fällt erst mal vom Himmel, in jedem Fall sollte aber ein großer Teil des Kalenders leer bleiben. Oft hätte bereits nur die feste Terminlandschaft diese 60 Prozent bereits für sich in Anspruch genommen. Somit hätten die Lücken, in welche du die Aufgaben ohne feste Uhrzeiten gelegt hast, leer bleiben müssen. Zunächst ist das kein Problem, denn diese (an sich) terminfreien Aufgaben hätten auch an jedem anderen Tag erledigt werden können.
Wenn aber die anderen Tage der Woche von einer ähnlichen Terminlandschaft gezeichnet sind, gibt es auch sonst in der Woche nicht genügend Lücken, in denen man alle terminfreien Aufgaben schieben kann. Sonst wären ja wieder mehr als 60 Prozent der Zeit verplant. Diese Aussicht macht viele Menschen nervös. Warum eigentlich?
Die Angst, etwas nicht zu erledigen
Es liegt an FOMO. FOMO steht ganz allgemein für „fear of missing out“, also die Angst etwas zu verpassen. In unserem Fall: Die Angst, eine Aufgabe nicht zu erledigen. Natürlich nimmt sich man sich auch aus Selbstüberschätzung zu viel vor, aber bleiben wir für heute bei der Angst.
So werden Aufgaben, die an sich keine echte Deadline besitzen, willkürlich terminiert, aus der Sorge heraus, man würde sie sonst nicht erledigen. Das könnte natürlich auch passieren. Viele Menschen brauchen Zeitdruck, um sich um angenehme Aufgaben zu kümmern. Das funktioniert für sie sogar dann, wenn sie wissen, dass die Deadline erfunden ist. Oft verbunden mit der stolzen Aussage: „Unter Zeitdruck funktioniere ich am besten“.
Wirklich? Sollte man der Angst, etwas zu verpassen, mit künstlichem Druck entgegnen und den Preis in Form von Stress und Hektik zahlen? Ich bin überzeugt, dass man sich mit dem diesem Preis von der Verantwortung freikaufen will, sich der Angst zu stellen. Zu diesen selbst auferlegten Stressoren kommt hinzu, dass die unter Zeitdruck erledigten Aufgaben oft zu Ergebnissen von schlechterer Qualität führen. Vor der Frage, wie man den sonst alles auf der To-do-Liste schaffen soll, muss die Frage stehen, ob man überhaupt alles erledigen muss.
Du musst nicht alles erledigen
Falls du dich nur deshalb mit Zeitmanagement und Produktivität beschäftigst, weil du doch noch hoffst, eines Tages alles erledigen zu können, dann vergiss das bitte möglichst schnell. Parkinsons Gesetz sagt, dass sich Arbeit immer auf Zeit ausdehnt, die wir zu ihrer Erledigung eingeplant haben. Das ist hartes Dilemma: Wer mit Puffern plant, damit sich nachfolgende Termine nicht verschieben, wird bald merken, dass der Puffer selbstverständlich von der Aufgabe oder dem Meeting verzehrt wird. Für alle Aufgaben wirst du niemals genug Zeit haben. Für alle wichtigen Aufgaben, hingegen schon.
Falls du mir gerade innerlich widersprochen hast, müssen wir noch über den Begriff „wichtig“ sprechen. Viele Dinge betrachten wir nur deshalb als wichtig, weil wir die negativen, sozialen Konsequenzen fürchten. Wenn wir einem Gefallen oder eine Anfrage nicht nachkommen, könnten andere schlecht von uns denken oder uns sogar anschreien. Ja, das könnte passieren! In diesen Fällen ist es fast immer deutlich weniger dramatisch, als wir es uns vorgestellt haben und in ein paar Jahren kräht kein Hahn mehr danach.
Es gibt hingegen immer Aufgaben, bei denen dich dein Zukunfts-Ich am liebsten dafür anschreiben würde, dass du sie nicht erledigt hast. Kann und tut es nicht, und deshalb stellst du dich selbst viel zu oft hinteren gegenwärtigen Schreier:innen an. Die Angst, etwas nicht zu erledigen, ist viel zu oft eine soziale. Und während du der Lautstärke der Anderen nachgibst, vernachlässigst du alles, was für dich, deine Gesundheit und deine Familie wichtig gewesen wäre. Lass dich hier nicht von er trügerischen Stille nicht trügen. Es bleibt leise, bis es zu spät ist, und dir deine Gesundheit und Partnerschaft um die Ohren fliegt.
Die Lösung ist (nicht) einfach
Was machen wir jetzt mit dieser Erkenntnis? Sacken lassen. Beobachte dich selbst, und deine Gefühle und Gedanken zu fremdbestimmten Aufgaben in den nächsten Wochen ganz genau. Jetzt wo sie zugesagt sind, würde es natürlich besonders schwerfallen, die Zusage wieder rückgängig zu machen. Respekt für alle Fälle, in denen dir das dennoch gelingt, und du deine Zusage wertschätzend und ehrlich zurücknimmst. Bitte lerne aber in jedem Fall daraus, wenn du das nächste Mal etwas zusagen willst. Einfach wird das nicht und es wird zu Rückfällen kommen. Bleibe sensitiv und ehrlich zu dir selbst und anderen gegenüber.
Auf der organisatorischen Ebene gibt es aber eine einfache Lösung: Bereite deine Tage vor, statt sie zu planen. Wie das funktioniert, erfährst du in dieser Podcast-Folge: Warum dich Planung in den Irrtum führt (Folge 88)
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